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8. August 2011
Die Lutherkirche in Cottbus

Im Eisenacher Regulativ wurde 1861 festgelegt, dass protestantische Kirchen dreischiffig und gotisch ausgestaltet sein sollten, da dieser doch der christliche und zudem germanische Baustil sei. Der insbesondere in den Städten massive Bevölkerungszuwachs bedingt durch die zunehmende Industrialisierung hat deutschlandweit zum Bau von unzähligen neogotischen und (später auch) neoromanischen Gotteshäusern geführt. Aber die historisierende Architektur des endenden 19. Jahrhunderts wurde zunehmend als unbefriedigend, als seelenlos, pompös und unschön wahrgenommen. Der Gottesdienst als wesentliches Element in der evangelischen Kirche schien durch angeberische und schmückende architektonische Elemente verschleiert zu sein. Die seinerzeit angestoßene Diskussion um das Wesen der Gemeinde und die Anforderungen eines feierlichen Gottesdienstes zielte auf die Untrennbarkeit von Zweck und Gestalt in der Kirchenarchitektur ab. Schönheit, Wahrhaftigkeit, Funktionalität und Feierlichkeit waren die Begriffe, die Architekten beim Entwerfen und Planen nun berücksichtigen mussten.

Wie konnte man als praktizierender Architekt damals baulich reagieren? Erstmals gab es die Situation, dass man keinen passenden Stil für eine bestimmte Bauaufgabe anwenden konnte. Eine große formale und konstruktive Experimentierfreude prägt insbesondere das Handeln junger Architekten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wichtige Prämissen dieser so genannten Reformarchitektur waren die Einhaltung der Gesetze der Proportionalität, Wiederholungen, Reihungen und Entsprechungen von architektonischen Elementen und klar geometrische Formen, aber auch historische Stilzitate als Verweis auf den Ort und nicht als eigene Stilbildung.

Die Abkehr vom Historismus lässt sich auch am Werk von Robert Leibnitz, dem Architekten der Lutherkirche, sehr gut ablesen. Leibnitz, nach einem Architekturstudium an der Technischen Universität Charlottenburg schon 30-jährig zum königlichen Regierungsbaumeister aufgestiegen, war ein Verfechter des Historismus. Zwei seiner wichtigsten Bauten zeigen die im Kirchenbau verwendete Neogotik (Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche, Berlin, 1893-1895) und die im Wohnsitz- und Repräsentationsbau verwendete Neorenaissance (Mitarbeit am Hotel Adlon, Berlin, 1906-1907). Auf den ersten Blick überrascht also Leibnitz’ Aufbruch zu einer neuen Formensprache, die ihm aber auch eine stilistische Anpassungsfähigkeit in unsteten Zeiten bescheinigt. Ein wichtiger Vertreter dieser neuen Formensprache im Werk von Robert Leibnitz ist zweifelsohne die Lutherkirche in Cottbus.

Der Baukörper der Kirche und des gleichzeitig entstandenen Gemeindehauses zeigt sich sehr differenziert. Die eigentliche Kirche ist eine betsaalartige, einfache Hallenkirche, mit einfachst gestalteter, im Grundriss länglicher, quaderförmiger Apsis im Süden, Satteldach und einem flächigen, reliefartigen Hauptportal auf der Nordseite. Daran gliedert sich asymmetrisch der kräftige Westturm an. Auf der Ostseite dringt bei morgendlichen Gottesdiensten Licht durch fünf Rundbogenfenster. Im Westen und im Süden schließt sich das Gemeindehaus an, das sich als rhythmisch gegliederter Baukörper an die Gartenhausarchitektur anlehnt. Die Ausgestaltung des beschriebenen Baukörpers lässt eine stilistische Einordnung in den Jugendstil oder auch in die Reformarchitektur des beginnenden 20. Jahrhunderts zu.

Robert Leibnitz musste bei der Planung der Lutherkirche auf verschiedenste Veränderungen der Stadt Cottbus reagieren. Der allgemeine industrielle Aufschwung zog eine Bevölkerungsexplosion auch in Cottbus nach sich, so dass mehrere Vorstädte gegründet wurden. Diese wurden mit breiten Ausfallstraßen (1893: erstes Automobil in Cottbus) und Straßenbahnen (1902: erste Straßenbahn in Cottbus) mit der Innenstadt verbunden. Darauf reagierte Leibnitz gestalterisch, indem er die Lutherkirche nördlich mit einem Platz zur Stadt hin öffnete und westlich durch die Blockrandstruktur des Gemeindehauses die Verdichtung und Richtung der Thiemstraße verdeutlichen wollte.

Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde, die bereits 1846/1847 in Cottbus gegründet wurde, erwog in der Spremberger Vorstadt den Bau eines zusätzlichen protestantischen Kirchengebäudes. Um das Projekt für 600 neue Gemeindemitglieder zu realisieren, wurde 1906 der Luther-Kirch-Bauverein konstituiert. 1911 wurde die Kirche fertig gestellt. 1945, nach Bombenangriffen im zweiten Weltkrieg, brannte die Lutherkirche fast vollständig aus. Es kam jedoch zu einem für DDR-Verhältnisse zügigem Wiederaufbau, so dass die Kirche bereits 1951 wieder geweiht wurde. 2012 soll die geplante Sanierung zum 100-järhigen Jubiläum abgeschlossen sein.