Architekturkritik: Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule am Süßen Grund, AFF Architekten, Berlin
Ein waches Auge auf Reisen bereichert jeden Architekten, wenn er Eindrücke
sammelt, Situationen fotografisch festhält und Fundstücke als Souvenir mit in
die Heimat nimmt. Den unmittelbaren Beweis hierfür lieferten AFF Architekten
aus Berlin mit ihrer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum, in der sie
u.a. Gegenstände ihres analogen Denkarchivs präsentierten. Warum es
aber nun ausgerechnet ein auf einer Reise nach Skandinavien gefundenes,
ursprünglich für militärische Zwecke genutztes Tarnnetz sein musste, das die
neue Schule in Berlin-Adlershof bekleidet, bleibt ein Rätsel. Und ein
gescheiterter Versuch, die billige Putzfassade optisch zu retten, denn nur
eine solche war preislich und im engen Korsett der Engergieeinsparverordnung
machbar. Ein ähnliches Fassadenspiel zeigt die Restaurierung und
Erweiterung des Sal Telmo Museums in San Sebastián (Spanien, von Nieto
Sobejano Arquitectos), wo hingegen eine tatsächlich durchlöcherte Fassade realisiert
wurde. Ein Tarnnetz also, das sich durch Bewuchs mit der Zeit verändert, die
eindimensionale Fassade und der meterhohe Schutzanstrich gegen Grafitti an
der Schule am Süßen Grund verhindern eine solche Wirkung allerdings.
Vielleicht soll das Tarnnetz nach Ansicht der Architekten ermöglichen, dass
die vierzügige Grundschule sich möglichst gut in das heterogene
städtebauliche Umfeld einfügt. Denn der Neubau der Anna-Seghers-
Gemeinschaftsschule bildet den vorerst letzten Baustein auf einem auch
baulich lebendigen Schulcampus, der einst mit dem Bau der Anna-Seghers-
Schule von Ludwig Hoffmann im endenden 19. Jahrhundert begründet wurde.
Wenn man den Campus nun betritt und man diverse Annexbauten aus den
1950er Jahren und eine marode Sporthalle aus der DDR-Zeit passiert hat,
sticht plötzlich schwebend ein helles Fassadenweiß in der nordöstlichen
Campusecke hervor. Im Gegensatz zur eher repräsentativen Umarmung des
Hoffmann-Baus an der Radickestraße öffnet sich das neue zweigeschossige
Schulgebäude ganz zweckmäßig, um auch für die Grundschüler einen
eigenen Spielhof zu erhalten. Trotz des knappen Budgets von nur 2,9
Millionen Euro, das aus dem staatlichen Konjunkturpaket geschöpft wurde,
konnte man die im Grundriss U-förmige Gebäudestruktur verschwenderisch
als Einspänner ausbilden. So öffnen sich die Vorflure der Klassen- und
Gemeinschaftsräume in den beiden Geschossen nach Osten und erhalten
morgendliche Sonne. Leider wirken diese Flächen, die sich eigentlich in besonderem Maße für Spiel und Kommunikation eignen würden, durch sehr
geringe Fensterflächen introvertiert und öffnen sich nicht dem Außenraum im
Erdgeschoss, der von den drei Gebäudeflügeln umschlossen wird. Die
Klassenräume hingegen erhielten großflächigere Fensterflächen an den
Außenseiten, kehren sinnvollerweise dem neuen Pausenhof den Rücken zu
und ermöglichen konzentriertes Lernen. Am südöstlichen Ende liegt im ersten
Obergeschoss richtig platziert das auskragende Lehrerzimmer mit
wachendem Blick auf den Pausenhof, darunter wettergeschützt der
Haupteingang.
Wie der Projektleiter der Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule, Jan
Musikowski, stolz berichtete, verarbeiten die Schulkinder das im Innern an
Wänden und Fußböden der Erschließungsflächen dominierende Zitronengelb
malerisch, nachdem sie nach typischen Merkmalen ihrer Schule befragt
wurden. Dies kann man nun als Gewöhnung oder gar Anfreundung mit der
unmittelbaren Lernumgebung bezeichnen, aber es stellt sich auch die Frage,
was die Kinder sonst hätten darstellen sollen. Denn im Gegensatz zu den
funktionellen, in weiß und grau gehaltenen Klassenräumen drängt sich dieses
kalte Gelb schonungslos in den Vordergrund. Diese sogenannten
Einfarbräume finden sich häufig bei AFF Architekten, u.a. bei dem Umbau von
Schloss Freudenstein in Freiberg, wo Teile von Fluren, Treppen oder
Zugängen einfarbig auf ausgestellte Mineralien hinweisen. In einer
Grundschule jedoch, in der man auf eine möglichst breit gefächerte
Persönlichkeitsentwicklung der Schüler achten sollte, ist eine solche
Farbdominanz fehl am Platze. Der Kreis darf hingegen als zweites
erkennbares Gestaltungselement verschiedene Materialien, Farben und
Größen annehmen: als Vorhang im Klassenraum, als Verschattungselement
im Öffnungsflügel, als Leuchte im Flur oder als Spielfläche im Außenbereich.
Auch die Endstücke haustechnischer Anlagen sind kreisrund. Nach Aussage
der Architekten wurden diese bei der Gestaltung des Deckenspiegels
berücksichtigt: sie tarnen sich bestens.