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4. Oktober 2011
Die auffällig Getarnte

Architekturkritik: Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule am Süßen Grund, AFF Architekten, Berlin

Ein waches Auge auf Reisen bereichert jeden Architekten, wenn er Eindrücke sammelt, Situationen fotografisch festhält und Fundstücke als Souvenir mit in die Heimat nimmt. Den unmittelbaren Beweis hierfür lieferten AFF Architekten aus Berlin mit ihrer Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum, in der sie u.a. Gegenstände ihres analogen Denkarchivs präsentierten. Warum es aber nun ausgerechnet ein auf einer Reise nach Skandinavien gefundenes, ursprünglich für militärische Zwecke genutztes Tarnnetz sein musste, das die neue Schule in Berlin-Adlershof bekleidet, bleibt ein Rätsel. Und ein gescheiterter Versuch, die billige Putzfassade optisch zu retten, denn nur eine solche war preislich und im engen Korsett der Engergieeinsparverordnung machbar. Ein ähnliches Fassadenspiel zeigt die Restaurierung und Erweiterung des Sal Telmo Museums in San Sebastián (Spanien, von Nieto Sobejano Arquitectos), wo hingegen eine tatsächlich durchlöcherte Fassade realisiert wurde. Ein Tarnnetz also, das sich durch Bewuchs mit der Zeit verändert, die eindimensionale Fassade und der meterhohe Schutzanstrich gegen Grafitti an der Schule am Süßen Grund verhindern eine solche Wirkung allerdings.

Vielleicht soll das Tarnnetz nach Ansicht der Architekten ermöglichen, dass die vierzügige Grundschule sich möglichst gut in das heterogene städtebauliche Umfeld einfügt. Denn der Neubau der Anna-Seghers- Gemeinschaftsschule bildet den vorerst letzten Baustein auf einem auch baulich lebendigen Schulcampus, der einst mit dem Bau der Anna-Seghers- Schule von Ludwig Hoffmann im endenden 19. Jahrhundert begründet wurde. Wenn man den Campus nun betritt und man diverse Annexbauten aus den 1950er Jahren und eine marode Sporthalle aus der DDR-Zeit passiert hat, sticht plötzlich schwebend ein helles Fassadenweiß in der nordöstlichen Campusecke hervor. Im Gegensatz zur eher repräsentativen Umarmung des Hoffmann-Baus an der Radickestraße öffnet sich das neue zweigeschossige Schulgebäude ganz zweckmäßig, um auch für die Grundschüler einen eigenen Spielhof zu erhalten. Trotz des knappen Budgets von nur 2,9 Millionen Euro, das aus dem staatlichen Konjunkturpaket geschöpft wurde, konnte man die im Grundriss U-förmige Gebäudestruktur verschwenderisch als Einspänner ausbilden. So öffnen sich die Vorflure der Klassen- und Gemeinschaftsräume in den beiden Geschossen nach Osten und erhalten morgendliche Sonne. Leider wirken diese Flächen, die sich eigentlich in besonderem Maße für Spiel und Kommunikation eignen würden, durch sehr geringe Fensterflächen introvertiert und öffnen sich nicht dem Außenraum im Erdgeschoss, der von den drei Gebäudeflügeln umschlossen wird. Die Klassenräume hingegen erhielten großflächigere Fensterflächen an den Außenseiten, kehren sinnvollerweise dem neuen Pausenhof den Rücken zu und ermöglichen konzentriertes Lernen. Am südöstlichen Ende liegt im ersten Obergeschoss richtig platziert das auskragende Lehrerzimmer mit wachendem Blick auf den Pausenhof, darunter wettergeschützt der Haupteingang.

Wie der Projektleiter der Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule, Jan Musikowski, stolz berichtete, verarbeiten die Schulkinder das im Innern an Wänden und Fußböden der Erschließungsflächen dominierende Zitronengelb malerisch, nachdem sie nach typischen Merkmalen ihrer Schule befragt wurden. Dies kann man nun als Gewöhnung oder gar Anfreundung mit der unmittelbaren Lernumgebung bezeichnen, aber es stellt sich auch die Frage, was die Kinder sonst hätten darstellen sollen. Denn im Gegensatz zu den funktionellen, in weiß und grau gehaltenen Klassenräumen drängt sich dieses kalte Gelb schonungslos in den Vordergrund. Diese sogenannten Einfarbräume finden sich häufig bei AFF Architekten, u.a. bei dem Umbau von Schloss Freudenstein in Freiberg, wo Teile von Fluren, Treppen oder Zugängen einfarbig auf ausgestellte Mineralien hinweisen. In einer Grundschule jedoch, in der man auf eine möglichst breit gefächerte Persönlichkeitsentwicklung der Schüler achten sollte, ist eine solche Farbdominanz fehl am Platze. Der Kreis darf hingegen als zweites erkennbares Gestaltungselement verschiedene Materialien, Farben und Größen annehmen: als Vorhang im Klassenraum, als Verschattungselement im Öffnungsflügel, als Leuchte im Flur oder als Spielfläche im Außenbereich. Auch die Endstücke haustechnischer Anlagen sind kreisrund. Nach Aussage der Architekten wurden diese bei der Gestaltung des Deckenspiegels berücksichtigt: sie tarnen sich bestens.